
Wieso haben Teilchen Masse? Und wie genau hängt dies mit dem 2012 u.a. am ATLAS-Experiment entdeckten Higgs-Boson zusammen? Was sind dessen Eigenschaften? Was hat es mit der dunklen Materie auf sich? Warum genau bestehen wir alle aus Materie und nicht aus Antimaterie? Das sind nur einige der Fragen, deren Erforschung sich die 6000 Mitglieder der internationalen ATLAS-Kollaboration verschrieben haben, und denen sie mithilfe ihres Experimentes am Large-Hadron-Collider am CERN nachgehen.
ATLAS ist einer von zwei sogenannten general-purpose-Detektoren am LHC, hat also ein besonders breites Forschungsspektrum, welches er mithilfe von Teilchenkollisionen untersucht. Dabei werden jeweils zwei Protonen oder Ionen in seinem Inneren zur Kollision gebracht und die Zerfallsprodukte der Kollision im zylindrischen Detektor untersucht.
Informationen über die deutsche ATLAS-Beteiligung
Der Detektor
Der ATLAS Detektor wiegt beeindruckende 7000 Tonnen, aber wirklich herausragend ist seine Größe. Mit einem Durchmesser von 25 m und einer Länge von 46 m ist er der Riese unter den Teilchendetektoren am LHC. Er besteht aus verschiedenen Subdetektoren, die zylindrisch den Kollisionspunkt umgeben, um eine hohe räumliche Abdeckung zu erreichen.
Die verschiedenen Subdetektoren haben dabei jeweils besondere Aufgaben, etwa die Vermessung der Teilchenbahnen, die Identifikation der Teilchenart, die Vermessung des transversalen Impulses oder der Energie der Teilchen. Anhand der aufgezeichneten Daten wählt anschließend ein raffiniertes Trigger-System in Echtzeit diejenigen Kollisionen aus, die interessant sind und anschließend analysiert werden sollen.
Der ATLAS Detektor ist in vier Hauptsysteme untergliedert, welche jeweils einige der oben genannten Aufgaben übernehmen: Der Innere Spurdetektor vermisst die Teilchenspuren, die beiden Kalorimeter vermessen die Energie der Teilchen und das Myon-Spektrometer vermisst die schwer messbaren Myonen, die bis zum Außenbereich des Detektors gelangen können. Die Systeme nutzen dabei zwei verschiedene Magneten: Zum einen den supraleitenden Solenoid-Magneten, der den inneren Spurdetektor umgibt und so die Bahn geladener Teilchen im Spurdetektor auf eine Helixbahn krümmt. Außerhalb der Kalorimeter wird ein sogenannter Toroid-Magnet genutzt, um auch im Myon-Spektrometer die Bahnen der Teilchen zu krümmen – das Magnetfeld hat dabei gewaltige Ausmaße von 26 x 20 m.
Internationale ATLAS-HomepageAktuelle Forschungsfragen
Als general-purpose-Detektor hat das ATLAS-Experiment ein vielfältiges Forschungsprogramm, das die Aussagen des Standardmodells der Teilchenphysik testet und nach Erweiterungen sucht. Ein großer Erfolg dieser Bemühungen war für die Wissenschaftler*innen bei ATLAS die Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012. Nach der Entdeckung gilt es jetzt, die Eigenschaften des Higgs-Bosons genau zu untersuchen: seine Masse, seine Wechselwirkung mit anderen Teilchen und die Frage, ob es evtl. noch weiter Higgs-Bosonen gibt, sind einige davon.
Doch auch viele andere Fragen sind weiterhin noch ungeklärt. Etwa die Erforschung einer noch völlig unbekannten Materieform im Universum, der sogenannten Dunklen Materie, die die bahnbrechende Entdeckung neuer Teilchen erwarten lässt. Genauso stellt sich die Frage, warum wir aus Materie bestehen, obwohl im Urknall Materie und Antimaterie in symmetrischer Menge entstanden sein müssten - wo ist die Antimaterie hin? Die Methodik dabei ist der stete Vergleich von theoretischen Modellen mit der Wirklichkeit im Detektor – so wird etwa überprüft, ob das Standardmodell bestimmte Zerfallsprozesse in ihrer Häufigkeit korrekt vorhersagt, oder ob die Messungen auf neue Teilchen oder Kräfte schließen lassen. Bisher hält das Standardmodell all diesen Untersuchungen stand und erweist sich dabei immer wieder als erstaunlich Präzise.

Das ATLAS-Experiment – Steckbrief
Maße:
- 46 m Länge, 25 m Durchmesser
- 7000 Tonnen Gewicht
Standort:
- Meyrin bei Genf, Schweiz
Internationale Kollaboration:
- 41 Länder
- 181 Institute
- ~ 3000 Wissenschaftler*innen
Deutsche Beteiligung:
- 16 Institute
- ~ 250 Wissenschaftler*innen
- ~ 550 abgeschlossene Promotionen
Impressionen aus der ATLAS-Kollaboration

Deutsche Beiträge zum ATLAS-Experiment
Am ATLAS-Experiment sind insgesamt 16 deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen mit über 250 Mitarbeiter*innen beteiligt. Diese werden dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über einen sogenannte Forschungsschwerpunkt (FSP) finanziert. Am FSP ATLAS sind Universitäten in Berlin (HU), Bonn, Dortmund, Dresden, Freiburg, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Mainz, München (LMU und TU), Siegen, Wuppertal, Würzburg sowie das DESY in Hamburg und das MPI für Physik in München beteiligt.
Die deutschen Gruppen bringen sich maßgeblich in verschiedenen Bereichen in der internationalen ATLAS-Kollaboration ein. Beim Bau und der Weiterentwicklung des Detektors sind deutsche Gruppen an allen Detektorsystemen von ATLAS mit bedeutenden Beiträgen beteiligt. Vom Pixeldetektor über die Flüssigargonkalorimeter bis hin zu den Endkappenmyondetektoren sind die deutschen Institute mit Forschung und Entwicklung wie auch der Konstruktion maßgeblich beteiligt. Auch in der Weiterentwicklung der verschiedenen Trigger-Systeme zur Auswahl relevanter Teilchenkollisionen sind einige Forschungsgruppen involviert.
Einen ebenso großen Beitrag leisten die Wissenschaftler*innen der deutschen Institute bei der Auswertung der mit ATLAS gewonnenen Daten – etwa bei der präzisen Vermessung des Higgs-Bosons. Dazu gehört auch die Suche nach Dunkler Materie, die Suche nach exotischen Teilchen und neuen Phänomenen oder die präzise Untersuchung des Top-Quarks, dem schwersten aller bekannten Elementarteilchen.

Das Upgrade
Im bisherigen Betrieb des LHC konnte der ATLAS-Detektor riesige Datenmengen aufnehmen und mit der Higgs-Entdeckung einen großen Erfolg feiern. Im Jahr 2022 wurde der Betrieb des LHC nach einem langen Shutdown (LS2) mit einer bis dahin nie erreichten Schwerpunktsenergie von 13,6 TeV wieder aufgenommen. In dieser Zeit wurde der ATLAS-Detektor stetig weiterentwickelt und mit dem "New Small Wheel" um einen weiteren Myon-Detektor ergänzt. Weiterhin wurde ein neuer Level 1 Trigger installiert um die Leistungsfähigkeit des Detektors zu verbessern.
Weiterentwicklung des ATLAS-Detektors
Im Zuge der Weiterentwicklung des LHC wird dieser zum Ende dieser Dekade zum sogenannten High-Luminosity LHC (HL-LHC) ausgebaut. Dabei wird die Strahlintensität nahezu auf das Zehnfache erhöht. Dies bringt auch für den ATLAS-Detektor neue Herausforderungen, da im HL-Betrieb die Anforderungen an die Detektoren und das Material um ein Vielfaches höher sein werden. Dies macht ein umfassendes Upgrade inklusive des Austausches fast aller Detektorkomponenten von ATLAS notwendig, welche im nächsten Long Shutdown (LS3) vorgenommen werden. Damit wird der Detektor auf die höheren Strahlungsintensitäten und Kollisionsraten vorbereitet. Doch auch die Systeme abseits des eigentlichen Detektors – etwa die Trigger Systeme, die mit der Datenflut umgehen können müssen oder die Analysesysteme in den verschiedenen Instituten – werden ausgebaut. Die deutschen ATLAS-Gruppen sind an all diesen Upgrades beteiligt und konstruieren sogar einige der Bauteile vor Ort in ihren Laboren, bevor diese dann am CERN zusammengesetzt werden.

Sprecher des ATLAS-Forschungsschwerpunkts
„Der ATLAS-Detektor ist ein ungemein vielseitiges Instrument. Wir nutzen die aufgezeichneten Daten für Forschung in fast allen Bereichen der Elementarteilchenphysik: Von der Vermessung der Eigenschaften des im Jahr 2012 entdeckten Higgs-Bosons, Präzisionsmessungen der Quantenchromodynamik, detaillierte Untersuchungen des Top-Quarks bis hin zu Suchen nach supersymmetrischen und exotischen Teilchen und Messungen in Kollisionen schwerer Ionen. Es ist beeindruckend zu sehen, mit wieviel Kreativität neue Rekonstruktions- und Analysemethoden ersonnen und implementiert werden. Diese Fortschritte ermöglichen Messungen, die für lange Zeit in Proton-Proton-Kollisionen nicht für möglich gehalten wurden. So werden Türen in unbekannte Bereiche der Elementarteilchenphysik aufgestoßen.“
Prof. Dr. Wolfgang Wagner
Experimentelle Elementarteilchenphysik
Bergische Universität Wuppertal